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Zunehmende Unordnung und der Zeitpfeil

Der Schulstoff

Der Zeitbegriff wird in der Schule nicht hinterfragt. Man ist da durchaus wie Kant der Meinung, dass Zeit a priori existiert und wir unsere Erfahrung in einer vorhandenen Zeit machen. Das ist nun fast 300 Jahre her und vielleicht nicht das, was wir heute darüber denken.

Selten kommt der Begriff der Entropie im Physikunterricht vor, eher mal in der Chemie. Wenn, dann wird Entropie als ein Maß für Unordnung bezeichnet und da im Laufe der Zeit die Unordnung eines Systems von alleine nur zunehmen kann, wird die Zunahme der Entropie mit dem Lauf der Zeit, der Zeitrichtung, also dem Zeitpfeil in Verbindung gebracht.

Dem liegt der 2. Hauptsatz der Thermodynamik zu Grunde:

Für ihn gibt es mehrere gebräuchliche Formulierungen:

- Wärmeenergie fließt nicht von allein von einem kälteren zu einem wärmeren Körper

- Durch keinen periodischen Prozess kann Wärmeenergie Q vollständig in Arbeit umgewandelt werden.


Das Extrafutter

Entropie als Zustandsfunktion

Die Auseinandersetzung mit dem Zeitbegriff soll mal ein eigenes Thema werden. Ich möchte hier nur auf die Entropie eingehen. Dabei halte ich mich sehr eng an die kritische Darstellung von Arieh Ben-Naim ("Information, Entropy, Life and the Universe" sowie "The Four Laws That Do Not Drive The Universe").

Ursprünglich ist die Entropie S als Bilanzierungsgröße eingeführt worden, um mögliche von unmöglichen Vorgängen, bei denen die Energie verändert wird, zu unterscheiden.

Mit Entropie wollte man das "Transformationsverhalten von Energie" beschreiben. Deshalb auch der zu Energie sehr ähnliche Begriff.

Mathematisch ist die Entropie S = Q/T, wobei Q die Wärmeenergie bei der Temperatur T bedeutet.

Wie sieht die Bilanzierung nun aus?

Bei irreversiblen natürlichen Prozessen kann die Entropie nur zunehmen. Bleibt ein System im Gleichgewicht, so ist die Entropie konstant.

Sie ist also eine Bilanzierungsgröße für die Wärmeübertragung beim Wechsel von Zuständen. Sie beschreibt weder die Dauer noch die Art des Übergangs.

Bei diesen Formulierungen vergisst man, dass sich Entropie nur für Gleichgewichtszustände berechnen lässt, sie ist eine Zustandsfunktion und keine Funktion der Zeit.

Entropieänderungen beziehen sich nur auf den Vergleich verschiedener Zustände, nicht auf den Vergleich zu verschiedenen Zeiten: Es spielt keine Rolle, zu welchen Zeiten diese Zustände realisiert sind.


Statistische Deutung

Inzwischen kann man dies auch auf atomarer Ebene deuten:

Ein makroskopisches System besteht immer aus vielen mikroskopischen Objekten (Atome), die auf verschiedene Arten auf die möglichen mikroskopischen Zustände verteilt werden.

Dabei entsteht immer die gleiche bestimmte makroskopische Eigenschaft.

Gibt es viele verschiedene mikroskopische Verteilungen für einen bestimmten makroskopischen Zustand, dann stellt der sich besonders häufig ein. Die Anzahl der möglichen mikroskopischen Verteilungen, die zu diesem wahrscheinlichstem Zustand führen, nennt man auch die Entropie. Genauer ist es der natürliche Logarithmus dieser Anzahl: S = k* ln W, k ist eine Naturkonstante.

Dummerweise hat Boltzmann, der diese Formel gefunden hat, die Anzahl der Mikrozustände mit W bezeichnet, was unglücklicherweise eher an Wahrscheinlichkeiten erinnert.

Damit bekommt die Entropie auch einen statistischen Charakter: Wartet man lange genug, wird man auch Fälle der Abnahme von Entropie in der Natur finden.

Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik, der ja die Zunahme der Entropie postuliert, ist lediglich ein Erfahrungssatz, den wir Menschen in der zeitlich sehr begrenzten Lebesspanne machen.

Damit ist deutlich, warum Ben -Naim die Entropie nicht mit dem Zeitpfeil in Verbindung bringt:

S ist eine Zustandsfunktion, keine Funktion der Zeit.

Die Zunahme von S ist eine Wahrscheinlichkeitsaussage, die so eindeutig nur in menschlichen Zeitskalen aber nicht kosmischen Zeitskalen gültig ist.

Die Entropie vergleicht Gleichgewichtszustände, die nicht zeitlich aufeinander folgen müssen. Eine Abnahme der Entropie beim Zustandswechsel ist unwahrscheinlich, aber durchaus möglich.


Und kommen wir zum Schluss zum Kosmos:

Kosmologen bezeichnen oft den Urknall als Zustand niedriger Energie. Das macht wenig Sinn, denn der Urknall ist kein Gleichgewichtszustand, für den nur eine Entropie definiert wäre. Das gleiche gilt auch für andere Entwicklungsstufen des Kosmos: Der Kosmos ist nicht im Gleichgewicht, die Zuweisung einer Entropie macht keinen Sinn.


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