Der Schulstoff
Kernphysik ist für das Abiturhalbjahr, Q4, vorgesehen. Praktisch bedeutet das: Sie wird kaum behandelt, da eher für das Abitur geübt wird.
In den Schulbüchern steht dennoch recht viel zur Kernphysik:
Aufbau der Atomkerne - Radioaktivität - Energiefreisetzung durch Kernfusion und Kernspaltung - ja sogar über Elementarteilchen steht etwas.
Was kann man über Kernkraft nachlesen?
"Die positiv geladenen Protonen stoßen sich im Kern gegenseitig ab. Damit der Kern stabil bleibt, müssen zwischen den Nukleonen sehr starke anziehende Kräfte existieren. Diese Kernkräfte haben allerdings nur eine sehr kleine Reichweite in der Größenordnung von 10^-15 m."
Nicht falsch, aber auch nicht viel...dagegen findet man oft etwas über Kernkraft in der Presse, meistens negativ besetzt.
Dabei bestehen wir zu 97% aus reiner Kernkraft, nicht aus dem, was wir umgangssprachlich Materie nennen!
Wie ist denn das zu verstehen?
Das Extrafutter
Wie werden Kräfte vermittelt?
In der Physik kennt man die elektrische Kraft, die schwache Kraft und die starke Kraft.
Alle diese Kräfte werden durch Objekte vermittelt, die wir Kraftbosonen nennen, die teilchenartige Strukturen haben, besser Quanten sind. Sie werden von dem Objekt ausgesandt, das die Kraft erzeugt und von dem absorbiert, auf das die Kraft wirkt.
Dabei übermitteln sie Energie und Impuls. Das interpretieren wir als Kraftwirkung.
Diese substanzartige Deutung der Kraft gelingt nicht bei der vierten Grundkraft, der Gravitation. Sie scheint eine Eigenschaft der Raum-Zeit zu sein und wird über die innere Struktur (Metrik) von Raum und Zeit erzeugt und übermittelt.
Die Protonen im Atomkern bestehen aus je drei Quarks aus zwei Sorten: Das Proton ist ein uud-System, das Neutron ein ddu-System.
Zusätzlich aber bestehen 97% der Masse des Protons aus fluktuierenden Gluonen (Kraftbosonen der starken Kraft) , Quark-Antiquark-Paaren, sogar einzelne Quarks können auftauchen und verschwinden (siehe Post: "Das Vakuum ist nicht leer").

Wie sehen nun die Kraftbosonen im Atomkern selbst aus?
Erst einmal tauchen sie dort nicht auf, denn in der Regel wirken sie nur zwischen den Quarks im Inneren der Protonen und Neutronen.
Die Bosonen der schwachen Kraft können dabei Quarks verschiedener Sorten (Flavour) ineinander umwandeln. Das ist dann der Betazerfall der Atomkerne: Aus Neutronen werden Protonen (und manchmal auch umgekehrt), wenn z.B. ein u zu einem d wird.
Das hat nichts mit der Kernkraft zu tun.
Quarks erzeugen die starke Kraft. Das führen wir auf eine Ladung zurück.
In der Physik nennen wir alles, was ein Kraftfeld erzeugt, eine Ladung (außer bei der Gravitation: Es ist nicht üblich Massen als Gravitationsladungen anzusehen).
Es gibt für die starke Kraft drei verschiedene Ladungen, die wir mit rot r, gelb g und blau b bezeichnen. Von ihnen gehen Wechselwirkungsbosonen aus, die sogenannten Gluonen. Gluonen tragen zwei Farbladungen und tauschen somit Farbladungen der Quarks aus und binden sie so aneinander oder führen zu einer Abstoßung.
Die Quarks in einem Proton müssen alle drei "Farben" belegen, damit nach Außen das Proton als farbneutral, als weiß erscheint.
Farbneutrale Objekte üben keine starke Kraft aufeinander aus.
Und da haben wir schon das Dilemma...wenn die Protonen und Neutronen an sich farbneutral sind, dann können sie keine starke Kraft aufeinander ausüben.
Die Kernkraft kann es so nicht geben.
Sie muss es aber geben, so wie in dem Physikbuchzitat beschrieben, denn sonst würden alle Atomkerne auseinanderfallen und es wäre niemand da, die sich wundern könnte...
Wo kommt also die Kernkraft her?
Ein richtiges vollständiges Modell dafür gibt es noch nicht.
Van der Waals-Effekt?
Oft wird die Kernkraft als "van der Waal-Effekt" der starken Kraft beschrieben:
Sind sich zwei Nukleonen sehr nahe, so können auch einmal Gluonen von einem Nukleon durch das andere absorbiert werden. Das kann man dann als Wirkung einer anziehenden Kraft ansehen.
Wir kennen das von Molekülbindungen: Der Atomkern eines Atoms zieht die Elektronenhülle eines anderen an. So entstehen schwache Bindungskräfte zwischen den Atomen.
Neue Modellrechnungen haben aber gezeigt, dass dieser Effekt bei der Bindung von Nukleonen zu schwach ist.
Magnetochromatischer Effekt?
Ein anderes, wohl besser zutreffendes Modell für die Abstoßung von Nukleonen, könnte man als magnetochromatischen Effekt bezeichnen:
Bei zu großer Annäherung (unter 0,8 fm) von Nukleonen koppeln die Spins ("Eigendrehimpulse") der Quarks aneinander und führen zu einer Erhöhung der Energie des Systems.
Quarkaustausch zwischen Nukleonen
Aber wie kann man den anziehenden Effekt erklären?
Vielversprechende Ansätze gehen von einer Art kovalenten Bindung aus: So wie Atome durch Überlappung der Elektronenwellen Elektronen "gemeinsam nutzen" können, so gibt es bei einer großen Annäherung auch eine Überlappung der Quark-Wellen zwischen den Nukleonen.
Aber die "gemeinsame Nutzung" einzelner Quarks ist zu ineffektiv (sie müssten z.B. die gleiche Farbe haben). Neue Ansätze zeigen aber einen ganz anderen Effekt in dieser Richtung:
Ein Nukleon besteht nur zu wenigen Prozent aus den drei Quarks. Das starke Feld im Inneren sorgt für eine ständige Produktion von Gluonen und Quark-Antiquark-Paaren, die auftauchen und auch wieder verschwinden (siehe Bild oben).
Das habe ich gemeint, als ich oben geschrieben habe, wir würden zu 97% aus reiner Kernkraft bestehen....
Mehr zu diesen Vakuumfluktuationen kann man in dem Post "Das Vakuum ist nicht leer" nachlesen.
Ein Austausch von Quark-Antiquark-Paaren der Energiefluktuationen im Inneren der Nukleonen scheint den größten Anteil an der bindenden Kernkraft zu liefern.
Pionenaustausch
Das historisch erste Modell von Yukawa 1935 ging von einem Austausch von Pionen als Vermittler der Kernkraft aus.
Pionen sind Verbindungen aus Quarks und Antiquarks, das wusste aber Yukawa damals nicht.
Er konnte ein Potenzial für die Kernkraft bestimmen:
So wie elektrische Felder durch virtuelle Photonen vermittelt werden, so wird nach Yukawa die Kernkraft durch virtuelle Pionen vermittelt.
(virtuell heißt nur: Existent durch Verletzung der Energieerhaltung)
Damit kann man auch gut verstehen, wieso bei Kollisionen von Nukleonen oft Pionen entstehen (die virtuellen Pionen erhalten Energie und werden real, d.h. ihre Existenz genügt dem Energieerhaltungssatz).
Letztlich ist das Yukawamodell von 1935 durchaus konsistent mit den modernen Überlegungen eines Quark-Antiquark-Austausches.
Auf alle Fälle zeigt sich eine Analgie der bindenden Kernkraft zwischen Nukleonen zu bindenden Kräften zwischen Atomen.
Ein Deuteron (pn-Kern) hat somit viel mit einem H2-Molekül gemeinsam.
Und die von Gamov vor über 80 Jahren entwickelte Vorstellung passt ganz gut:
So wie ein Knochenaustausch (Quark-Antiquark-Paar) zwischen zwei Hunden (Nukleonen), diese aneinander bindet, so kann man sich vielleicht die bindende Wirkung der Kernkraft vorstellen.
