Ich kann mich an zwei Situationen erinnern, bei denen ich alle Mühe hatte "lebend" aus dem Raubtierkäfig Klassenzimmer zu kommen.

Bei meinem ersten Dompteurversuch war ich noch Referendar. Ich hospitierte am Anfang in einer Klasse 8 in Mathematik. Da ging es schon drunter und drüber und der Lehrer hatte Mühe überhaupt Unterricht durchzuführen. Mit Beginn des neuen Halbjahres sollte ich ja selbst unterrichten. Gespannt sah ich auf den Stundenplan...ich wurde Mathelehrer genau in dieser Klasse.
Ob das am großen Vertrauen der Schulleitung in mich lag (das glaube ich nicht...) oder einfach der bisherige Lehrer die Chance nutzte, diese Klasse loszuwerden, keine Ahnung.
Und wie erwartet ging es auch bei mir genau so weiter.
Ich musste mich entscheiden, dagegen angehen, stillhalten oder gar aufhören...
Ich entschloss mich zu kämpfen.
Ich verfasste einen Brief an die Eltern der jeweiligen Anführer/innen der Störaktionen und lies ihn vom Schulleiter gegenzeichnen.
Der war sehr verdutzt, dass ein Referendar einen solchen Weg geht. Aber er spielte mit.
Bei der Begründung meiner Schulexamensnote fürhte er das als positives Beispiel an.
Nach jeder Stunde, in der einer oder mehrerer der Jugendlichen Arbeiten unmöglich gemacht haben, ging per Post ein solcher Brief an das jeweilige Elternhaus. Ich bat um eine Unterredung und bestellte die Eltern in die Schule.
Dort beschwerte ich mich über die Jugendlichen und forderte die Eltern auf, dafür zu sorgen, dass ihre Kinder aufhören, Unterricht unmöglich zu machen.
Nach wenigen Wochen hatte ich gewonnen. Die Klasse war diszipliniert und ich konnte ihnen zeigen, dass Mathe auch ohne Rumtoben Spaß machen kann.
Wir wurden übrigens richtige Freunde. In der Examensstunde sorgte die Klasse dafür, dass die Prüfer mit offenen Mündern rausgingen und mir eine -1- gaben.
Die Klasse und ich, wir haben anschließend gemeinsam in der benachbarten Eisdiele gefeiert.
Die zweite Situation. Ich war schon eingie Jahre Lehrer. Ich sollte eine Klasse 7 in Physik übernehmen.
Alle Kolleg/innen bedauerten mich. Jeder wusste zu berichten, wie übel diese Klasse sei und dass man da schweißgebadet rausgeht.
Nun, ich war optimistisch, denn unsere erste gemeinsame Physikstunde sollte im gerade einen Tag vorher eröffneten Neubau sein, zum ersten Mal im dortigen Hörsaal, bei einem neuen Lehrer.
Das musste doch Eindruck machen.
Ich lies die Klasse in den Hörsaal, holte den Experimentierwagen und glaubte meinen Augen nicht:
Die Jugendlichen liefen über die Bänke, tobten herum, waren nicht zu bändigen. Der Hörsaal glich eher einem Affenkäfig mit wild gewordenen Tieren...

Ich stellte mich vorne hin und guckte das Ganze an...35 Minuten lang...ohne irgendeine Reaktion.
Damit hatte niemand gerechnet. Den Äffchen wurde es langweilig...sie setzten sich auf ihre Plätze...wurden ruhiger und ruhiger.
Schließlich konnte ich mit leiser Stimme reden, und alle hörten mich. Ich begrüßte die Klasse, teilte ihnen mit, dass wir noch 10 Minuten Unterricht haben. Die 35 Minuten werden wir nachholen, an einem Samstag in zwei Wochen. Allerdings mit 70 Minuten, da man ja Samstags nicht so gut arbeiten kann...
Und in Zukunft werde ich immer jede durch Herumtoben verloren gegangene Minute durch zwei Minuten Samstagsunterricht ersetzen, den wir allerdings erst dann durchführen, wenn 45 Minuten,also 22,5 Minuten Herumtoben, aufgelauen sind.
In der Tat musste ich einmal in den sauren Apfel greifen und samstags zusätzlich in die Schule kommen. Danach brauchte ich nur zu Beginn der Stunde auf die Uhr zu sehen...und wir konnten arbeiten.
Übrigens, diese Klasse war diejenige, die drei Jahre später in der 10 die erste eigenständige Unterrichtsreihe (Elektromagnetismus) durchgeführt hat (siehe Post "Ein langer und endloser Gang").
Nach diesen beiden Dressurakten durfte ich durchgehend im Streichelzoo unterrichten.
Meinen Referendar/innen gab ich immer den Tipp: Jugendliche finden es toll, wenn ihre Lehrer/innen durch Schreien und Kreischen versuchen Ruhe in die Klasse zu bringen..., man sollte unerwartet reagieren. Und am Anfang immer strenger...lockerer werden kann man immer noch.

Apropos Streichelzoo: Ein einziges Mal noch war unter dem Kaninchenfell ein kleiner bissiger Wolf...darüber erzähle ich im nächsten Post...
Übrigens, ich glaube, dass es solche Probleme in diesem Jahrtausend eher weniger gibt, man ändert sich eben.