Das ist jetzt ausführlich eine Geschichte ganz vom Anfang des PhysikClubs.
Sie begann mit einer Lehrerfortbildungstagung der Uni Mainz im Herbst 2002, zu der ich als Referent eingeladen war und über meinen Unterrichtsansatz und den PhysikClub gesprochen habe.
Irgendwie führte mich der Veranstalter dann in den Keller des Instituts, in dem unzählige alte Photomultiplier lagen, die alle am Vorgänger des LHC bei CERN in Genf im Einsatz waren und im Prinzip noch funktionierten.
Er zeigte mir auch, woran einer seiner Lehramtsstudenten (?) gerade arbeitete. Er wollte einen dieser Multiplier einsetzen, um die Cerenkovstrahlung nachzuweisen, wenn extrem schnelle Myonen durch Wasser fliegen.
In meinem 3. Vortrag zur Elementarteilchenphysik am 25.11.21 gehe ich darauf besonders ein. Das Video vom Vortrag ist hier in diesem Blog verlinkt (Videos), kann also noch nachträglich angesehen werden.
Ein Myon ist ein sehr kurzlebiges Elementarteilchen, das aber wie das Elektron elektrisch geladen ist. Myonen entstehen in der Hochatmosphäre und donnern mit 99% der (Vakuum-) Lichtgeschwindigkeit durch das Wasser. Dabei sind sie schneller als Licht im Wasser.
Dann senden sie einen optischen "Überschallknall" aus, so wie ein Flugzeug, das schneller als der Schall ist, einen Knall erzeugt.
Dieser kurze Lichtblitz wird im Multiplier in einen kurzen Stromstoß umgewandelt, den man messen und registrieren kann.
Das soll an Physik reichen.
Das Verfahren wird in riesigen unterirdischen Wassertanks genutzt, die mit Tausenden von Multipliern bestückt sind.
Das größte dieser Labore war in Japan und hieß Kamiokande.
Da die Mainzer und wir dafür eine mit Wasser gefüllte Thermoskanne benutzten, haben sie/wir (keine Ahnung) das als Kamiokanne bezeichnet.
Eine Kamiokanne ist also eine mit Wasser gefüllte Thermoskanne, auf die ein Photomultiplier geschraubt ist, dessen Signale an ein Oszilloskop und eine Auswerteelektronik gehen.

Ich fand die Idee einfach irre und wollte so eine Kamiokanne für den PhysikClub haben.
Es gab nur ein Problem: Das alles funktionierte noch nicht.
Trotzdem gab mir der Leiter der Tagung alle Einzelteile und viele viele Multiplier mit.
Stolz zeigte ich das dem PhysikClub und kündigte an, dass ich das in den Weihnachtsferien zusammenbauen wollte, damit sie anschließend die Experimente machen konnten.
Riesen-Protest!
Die Gruppe (etwa 17 Jugendliche) wollten alles allein machen.
Sie mussten Elektrotechnik lernen, Programmieren, Hochspannungstechnik, Myonenphysik...und wussten, das alles dauert viele viele Monate.
Ich erinnerte mich an mein Unterrichtsprinzip, an meine angeborene Faulheit (es waren dadurch die letzten entspannten Weihnachtsferien meines Lebens, das wusste ich nur damals nicht) und lies sie machen.
Und die Jugendlichen hatten Erfolg. Unsere Kamiokanne lieferte sogar vor dem Original in Mainz erste Messergebnisse.
Inzwischen werden die Kamiokannen von Lehrmittelfirmen vertreten, sind professionalisiert Bestandteil vieler Aktionen des CERN und des Netzwerkes Teilchenwelt.
Was kam bei uns damals heraus? Die erste öffentliche Präsentation des PhysikClubs, ein Team, das daraus eine Jugend forscht Arbeit machte...der Anfang von allem...
Wir führten live eine Messung vor, an der Decke hingen die gesamten Messdaten (ausgedruckt mit 9 Nadel-Drucker...)
Übrigens, ein Jahr später, Heiligabend 2003, starteten wir in einer Grundschule im Landkreis Messungen, weit ab von Störungen durch die Stadt. Ab da war ich in den Weihnachtsferien immer im Einsatz.
Das JuFo-Team (Mike, der heute noch als Betreuer dabei ist, Heicko und Michael) wollte die Einwirkungen auf die Myonenzählrate untersuchen. Dazu machten wir Messungen in der Hoch - Rhön und wenige Meter über dem tiefsten Abflusskanal der Stadt...
In die Rhön fahren kann jeder...der Gulli zum tiefsten Kanal war im Vorgarten eines Hauses. Der Besitzer lies uns ein Zelt aufstellen, und (zum Glück waren ich und zwei Jugendliche auch Höhlenkletterer) seilten wir uns bis auf wenige Meter über der flüssigen Sch... im Kanal ab und brachten die Kamiokanne in der berühmten roten Stahltonne unter...
Etwa 25 m unter der Erde sollte der seitliche Einfall der Myonen minimiert sein und hauptsächlich von oben kommende Myonen registriert werden. Ob die Kacke unten drunter strahlt, ist mir immer noch unbekannt....

In den Sommerferien 2003 machten wir eine große Höhlenexpedition in das französische Vercors, auf die uns auch mein Kollege (siehe frühere Posts) begleitete.
Da gab es eine riesige Höhle mit etwa 1000 m Berg oben drüber, nur der Eingang lag in 1500 m Höhe.
Vom Parkplatz in 500 m Höhe schleppten wir die gesamte Ausrüstung (Netzteile, Kamiokanne, Wasser, Oszilloskop, Laptops und zwei große schwere Autobatterien für die Spannungsversorgung) in mehreren Touren kilometerweit zum Höhleneingang und von dort tief in die Höhle hinein.
Nach einer 24-stündigen Messung schleppten wir wieder alles runter...
Februar 2004: Regionalwettbewerb in Gießen (in Kassel gab es den noch nicht, Kassel war eine JuFo-Wüste...).
Zum ersten mal war ich bei Jugend forscht.
Der Regionalwettbewerbsleiter begrüßte alle Teams als Sieger. Denn sie hatten die Arbeit zu Ende geschrieben und waren beim Wettbewerb angekommen.
Toll.
Aber kurz vor der Siegerehrung haben mich die Nerven verlassen. Ich erzählte, dass ich heim zum PhysikClub musste und das Team am Abend abholen würde.
Aber bei Schwalmstadt hielt ich es nicht mehr aus und schickte per SMS ein "?" runter... Als Antwort kam ein "!"
Wie in Trance fuhr ich zum PhysikClub und später zurück nach Gießen. Sie waren Regionalsieger geworden.
Später wurden sie Landessieger in Hessen. Die Landeswettbewerbsleiterin lobte die Arbeit.
Inzwischen arbeiten wir beide eng zur Förderung von MINT zusammen. Damals, im März 2004, sahen wir uns zum ersten Mal.
Auf dem Bundeswettbewerb bekam das Team einen Preis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft für eine herausragende Arbeit in Physik.


Ja, so fing alles an...und krempelte mein Leben total um.