In diesem Post geht es um meine Erfahrungen in chinesischen Schulen.
Ganz grundlegend: Da geht es anders zu als im BAST. Strenge Hierarchie, oft Jugendliche auf Einzelplätzen, Lehrerpulte erhöht, keine Veranschaulichungen oder Experimente...oft nur Arbeit am Buch.
Die Jugendlichen sind diszipliniert und fleißig, wohl wissend welche Bedeutung die Noten für sie haben.
Trotzdem: Sehr moderne ansprechende Schulgebäude, gute technische Ausstattung (aber kaum Experimentiermaterial), gute Verpflegung (auch wenn es für mich eher nicht so der Fall war, es war eben echtes chinesisches Essen, den Kids hat es logischerweise geschmeckt), viel Sportbereiche und Möglichkeiten zum Austoben, großzügige Gelände...auch bin ich durchweg auf Kolleg/innen gestoßen, die sich für die Jugendlichen eingesetzt haben und ein großes Interesse an ihrem Job gehabt haben.
Xin Ya Mittelstufenschule
Die Schule liegt mitten in einem Industriegebiet, das Hauptgebäude, eingebettet in eine große Grünanlage mit Park, wirkt wie ein altes Gutsherrenhaus. Sehr idyllisch.

Die Schule wird privat betrieben, hat 300 Schüler/innen und ein angeschlossenes Internat für 50 Jugendliche (wohnt man am anderen Ende von Peking hätte man einen Schulweg von 3 Stunden...).
Deutsch ist ein Schwerpunktfach.
Ich konnte mit 40 Jugendlichen der Klassen 7 bis 11 arbeiten. Die älteren verstanden gut deutsch, für die jüngeren wurde übersetzt.
Mein Ziel war es, die Jugendlichen zur Entwicklung eigener Forschungsfragen anzuregen:
Sie kannten Gruppenarbeit und waren sofort bereit, in kleinen Gruppen miteinander zu sprechen und zu arbeiten.
Unser erster Schritt: Welche Eigenschaften muss für euch ein guter Forscher, eine gute Forscherin haben?
Im anschließenden Gespräch kristallisierte sich heraus: Neugierig sein, ausdauernd sein, Fragen stellen können.
Dann fragte ich sie, ob sie denn Interesse hätten, einmal etwas davon selbst auszuprobieren.
Ich führte anschließend unterschiedlichen Altersgruppen kleine Experimente vor, von denen ich sicher war, dass sie die nicht kannten.


Zum Glück hatte ich eine Linse dabei, Kerzen konnte die Schulleitung auftreiben. Experimentiermaterial ist eben fast nicht vorhanden.
Die jüngeren Jugendlichen sahen, wie eine Linse (nur Glas ohne Fassung) ein auf dem Kopf stehendes vergrößertes Bild der Kerze erzeugten.
Die älteren Jugendlichen entdeckten Beugungseffekte, wenn sie die Kerzenflamme mit zugekniffenen Augen durch die Wimpern ansahen.
In kleinen Gruppen diskutierten sie Fragen. Das war sehr ungewohnt, denn sie waren darauf getrimmt richtige Antworten zu geben, Fragen kamen nur von den Lehrern.
Dann tauschten sie Fragen aus und entwickelten ein Forschungsprogramm für die nächsten Stunden.
Das fand dann leider nicht statt...denn ich musste weiterziehen.
Staatliche Mittelschule
Am Nachmittag war ich in einer größeren staatlichen Mittelschule mit etwa 600 Schülern.

Lehrer und Schüler müssen von 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr in der Schule anwesend sein.
Einzelplätze, Hierarchie, das war so wie ich es eigentlich erwartet hatte.

Ich begann mein Programm.
Hier konnten die Jugendlichen der 7. Klasse, die ich besuchte, nichts mit der Gruppenarbeit anfangen. Es war ihnen verboten, den Platz zu verlassen. Dem hinten sitzenden, immer blasser werdendem Lehrer, rang ich die offizielle Genehmigung ab.
Und, das war spannend: Zum ersten Mal in ihrem 7-jährigen Schulleben arbeiteten die Jugendlichen in Gruppen zusammen. Und es funktionierte....nur ein einzelner Schüler blieb sprach- und regungslos auf seinem Paltz sitzen.
Weder mir noch dem dolmetschenden Deutschlehrer gelang es ihn zu aktivieren.

Übrigens: Der Deutschlehrer war von der Methode hellauf begeistert und meinte er wolle sie jetzt oft einsetzen.
Guang Da - Oberstufengymnasium für besonders begabte Jugendliche, Vorort von Peking
Eine Englischlehrerin begrüßte mich vor der Schule, führte mich zum Direktor, der mir die Schule zeigte.

Experimentiermaterial gab es gar keins, in der Oberstufe wurde nur mit Büchern gelernt.
Selbst das Basteln eines Pendels und eines Doppelpendels war schwierig. Für das Doppelpendel bekam ich die direktoralen Schnürsenkel, eine Schere aus dem Büro und ich steuerte einen USB-Stick bei.
Funktionierte.


Pause
Drei Klassen der E-Phase (etwa 80 Jugendliche) kamen in die Aula. Ich begann wie in den anderen Schulen.
Erst: Gruppenarbeit zur Arbeit von Forschern.
Als Experiment führte ich ihnen erst ein einfaches Pendel mit einer regelmäßigen Schwingung vor. Dann zeigte ich das Doppelpendel und regte eine chaotische Schwingung an.
Wieder ging es darum nur Fragen zu entwickeln.


Da alle gut Englisch sprachen, konnte ich zu den Gruppen gehen, zuhören und mitreden.
Fragenkataloge wurden aufgestellt, einzelne Schüler entwickelten schon Ideen zur Lösung.
Hier hätte ich am nächsten Tag einen PhysikClub aufmachen können...
Fazit:
Da ich ähnliche Erfahrungen auch in Sibirien machen konnte (das gibt bestimmt auch noch einen eigenen Beitrag), behaupte ich:
Alle Jugendlichen können und wollen eigenständig und selbst bestimmt arbeiten.
In manchen Schulen, bei manchen Lehrern wird es ihnen leicht gemacht, in anderne Schulen und bei anderen Lehrern schwerer...
Und etwas ist mir auch aufgefallen: Als der frühere Kasseler Schulamtsdirektor erstmalig den PhysikClub besuchte, schwärmte er von den leuchtenden Augen der Kids.
Guckt mal genau hin....die sieht man hier auch!
Ein Bild möchte ich auch noch zeigen: Das hier ist der zentrale Teil des Campus von Pekings größter Universität.

Zum Abschluss meines Pekingbesuches besichtigte ich noch die berühmte Goldene Stadt und verbrachte dann zwei Tage in Seoul, Südkorea.

Goldene Stadt, Peking

Seoul
9 Monate später begann das Corona-Zeitalter. Schade, das wären tolle Kooperations-erfahrungen geworden. Geblieben sind Online-Vorträge und Teilnahme an Online-Wettbewerben. Bei einem der Wettebwerbe war ich sogar in der Jury.